Mit der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag am 14. August 1949 zieht auch Theodor Heuss für die FDP ins Parlament ein. Nach Absprache unter den bürgerlichen Parteien, die später zu einer Koalition zusammenfinden, wird er am 12. September 1949 von der Bundesversammlung zum Bundespräsidenten gewählt. Damit ist er das erste deutsche Staatsoberhaupt nach Hitler, zugleich aber auch das erste deutsche Staatsoberhaupt bürgerlicher Herkunft. Sein persönliches Amtsverständnis demonstriert er bereits in der Antrittsrede vor der Bundesversammlung:
„Was ist denn das Amt des Präsidenten der Deutschen Bundesrepublik? Es ist bis jetzt ein Paragraphengespinst gewesen. Es ist von dieser Stunde an ein Amt, das mit einem Menschentum gefüllt ist. Und die Frage ist nun, wie wir, wir alle zusammen, aus diesem Amt etwas wie eine Tradition, etwas wie eine Kraft schaffen, die Maß und Gewicht besitzen und im politischen Kräftespiel sich selbst darstellen kann.”
Der desorientierten deutschen Nachkriegsgesellschaft will er wieder Perspektiven für eine neue demokratische Identität geben:
„Die Legende von dem unpolitischen Volk der Deutschen ist falsch [...]. Und so begreife ich – wenn wir das Zentralistische, Befehlsmäßige ablehnen – die Gliederung, in der wir leben, als die großen Schulungsmöglichkeiten und als die Voraussetzungen zu dem, was ich eine lebendige Demokratie nennen möchte.”
In den Chor des Vergessens und Beschweigens stimmt Heuss nicht ein:
„Es ist eine Gnade des Schicksals beim Einzelmenschen, daß er vergessen kann. Wie könnten wir als einzelne leben, wenn all das, was uns an Leid, Enttäuschungen und Trauer im Leben begegnet ist, uns immer gegenwärtig sein würde! Und auch für die Völker ist es eine Gnade, vergessen zu können: Aber meine Sorge ist, daß manche Leute in Deutschland mit dieser Gnade Mißbrauch treiben und zu rasch vergessen wollen. Wir müssen das Spürgefühl behalten, was uns dorthin geführt hat, wo wir heute sind. Das soll kein Wort der Rachegefühle, des Hasses sein. Ich hoffe, daß wir dazu kommen werden, nun aus dieser Verwirrung der Seelen im Volk eine Einheit zu schaffen. Aber wir dürfen es uns nicht so leicht machen, nun das vergessen zu haben, was die Hitlerzeit uns gebracht hat”
(in: Ralf Dahrendorf/Martin Vogt [Hg.]: Theodor Heuss. Politiker und Publizist, Tübingen 1984, S. 377-379).