
Biographische Daten: Weimarer Republik
1919 | Vergebliche Kandidatur zur Nationalversammlung und erfolgreicher Start als Kommunalpolitiker |
Obwohl Theodor Heuss dem revolutionären Geschehen von 1918/19 reserviert bis ablehnend gegenübersteht (er spricht von einer „großen unblutigen Kasernenrevolte”) und die Frage der Staatsform (Monarchie oder Republik) für wenig bedeutsam hält, sieht er im Umsturz doch die Chance zu einem demokratischen Neuaufbau, an dem er persönlich mitwirken will. Theodor Heuss (2. v. links neben dem Kellner mit der Weinflasche) im Kreis der Schöneberger Bezirksverordneten. Ein Spruchband kommentiert das Geschehen in Form eines Distichons: „Hart um das Wohl der Gemeinde befehden sich oben die Geister. Unten vereint sie des Weins Frieden gebietender Geist.” Arthur Johnson (1874-1954): Wandfresko o. T. (Reproduktion); Bezirksamt Schöneberg. Aus dem hier vollständig wiedergegebenen Fresko zeigt die Ausstellung einen Ausschnitt. Heuss' Versuch, sich als Abgeordneter der DDP an der Ausarbeitung einer neuen Verfassung in Weimar zu beteiligen, scheitert jedoch, als er bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 von seiner Partei auf einen aussichtslosen Listenplatz gesetzt wird. Sein erstes politisches Mandat nimmt er daher auf kommunalpolitischer Ebene wahr, der er, anknüpfend an die Ideen des Freiherrn vom Stein, große Bedeutung für die Bildung einer demokratischen Staatsbürgergesellschaft beimisst. So wirkt er seit 1920 als Bezirksverordneter von Berlin-Schöneberg und von 1929 bis 1933 in der Stadtverordneten-Versammlung für Groß-Berlin, in der er sich seit Mai 1930 heftige Wortgefechte mit den Nationalsozialisten liefert. Mit der sogenannten „Machtübernahme” der Nationalsozialisten verliert Heuss nicht nur sein dann doch gewonnenes Reichstagsmandat, sondern auch den Sitz in der Berliner Stadtverordneten-Versammlung. Ein Fresko im Ratskeller des Schöneberger Rathauses zeigt Heuss beim Genuss von Wein und Zigarren im Kreis seiner Bezirksverordneten-Kollegen. | |
1920 | Dozententätigkeit an der Deutschen Hochschule für Politik |
Als Dozent hält Theodor Heuss von 1920 bis 1933 an der Deutschen Hochschule für Politik, deren Gründung auf eine Initiative Naumanns zurückgeht, Vorlesungen und Übungen zur Parteien- und Verfassungsgeschichte, zur jüngsten Zeitgeschichte sowie zu aktuellen politischen Fragen. Daneben obliegen ihm in der Funktion eines „Studienleiters” bis 1927 die Rekrutierung von Dozenten und die Koordination des Lehrprogramms. Obwohl die Leitung wie auch die Mehrheit des Lehrkörpers der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) angehören, wird das Lehrprogramm der Hochschule von Wissenschaftlern und Politikern unterschiedlicher Couleur bestritten – von Martin Spahn bis Rudolf Hilferding, von Werner Sombart bis Hermann Heller. ![]() Theodor Heuss im Kreis von Kollegen und Schülern der Deutschen Hochschule für Politik,1922 (1. Reihe 2.v.l.) (Foto: Familienarchiv Heuss, Basel) In diesem Zusammenhang tritt Heuss auch als Programmatiker hervor: In seiner 1921 veröffentlichten Denkschrift zur Gründung der Hochschule mahnt er die Schaffung einer politischen, staatsbürgerlichen Tradition an, die den „unpolitischen Deutschen” bisher nicht gegeben sei; seine Ausführungen zur „modernen Demokratie” akzentuieren – charakteristisch für die zeitgenössische Demokratietheorie – das „Führerproblem” und erörtern das Verhältnis von Wissenschaft und politischer Bildung. Mit der Gleichschaltung der Hochschule verliert Heuss im Frühjahr 1933 seine Stelle als Dozent und damit eine seiner wichtigsten Einkommensquellen. Die Deutsche Hochschule für Politik wird 1948 unter dem Sozialdemokraten Otto Suhr wiederbegründet und 1959 als Otto-Suhr-Institut in die Freie Universität Berlin eingegliedert. | |
1924 | Wahl in den Reichstag |
Im Mai 1924 zieht Theodor Heuss für die Deutsche Demokratische Partei als jüngster Abgeordneter in den Reichstag ein, dem er bis zum 7. Juli 1933 mit zwei Unterbrechungen (1928 bis 1930, November 1932 bis März 1933) angehört. ![]() Foto aus dem Abgeordnetenausweis von Theodor Heuss | |
1926 | Rücktritt vom Vorsitz des Schutzverbands Deutscher Schriftsteller |
Als Journalist und Anhänger des sozialen Liberalismus Friedrich Naumanns ist Theodor Heuss für die sozialen und wirtschaftlichen Belange der schreibenden Berufe besonders sensibilisiert. So findet man Heuss 1909/10 unter den Gründungsmitgliedern des Schutzverbands Deutscher Schriftsteller, einer Interessenvertretung der geistigen Berufe, für die er sich 1911/12 und 1921 bis 1924 als zweiter Vorsitzender, 1925/26 als erster Vorsitzender einsetzt. Im Schutzverband, der unter den über 1600 Autoren auch die literarische Prominenz der Weimarer Zeit von Walther Rathenau über Kurt Tucholsky bis Johannes R. Becher zu seinen Mitgliedern zählt, profiliert sich Heuss als Zentralfigur der „Gewerkschaftsskeptiker”, d.h. jener Mitgliedergruppe, die eine gewerkschaftliche Organisationsform der freischaffenden Autoren ablehnt. Zum Bruch mit dem Schutzverband kommt es, als Heuss im Deutschen Reichstag im November 1926 für die Annahme der umstrittenen Gesetzesvorlage zur „Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften” eintritt: Die Schundliteratur wertet er als eine Form kapitalistischer Ausbeutung, der mit einer „Sozialpolitik der Seele” zu begegnen sei. Dass das am 3. Dezember verabschiedete Gesetz auf eine Definition von „Schund” verzichtet, hält Heuss im Vertrauen auf einen – faktisch freilich längst obsoleten – ästhetischen common sense für weniger problematisch. Seine Auffassung trägt ihm die wütenden Proteste zahlreicher Intellektueller von Thomas Mann über Kandinsky bis Albert Einstein ein und hat seinen Rücktritt vom Vorsitz des Schutzverbands Deutscher Schriftsteller zur Folge. | |
1928 | Verlust des Reichstagsmandats |
Hat die Deutsche Demokratische Partei 1919 in den Wahlen zur Nationalversammlung noch über 18 Prozent erhalten, so setzt seitdem der Niedergang des Linksliberalismus ein. 1928 erreicht die Partei nur noch knapp 5 Prozent; auch Theodor Heuss verliert sein Mandat in dem allgemeinen Abwärtstrend, in den die politische Mitte in der Weimarer Republik zunehmend gerät. | |
1930 | Rückkehr in den Reichstag für die Deutsche Staatspartei |
Um bei den bevorstehenden Wahlen ein Abrutschen der Deutschen Demokratischen Partei in die politische Bedeutungslosigkeit zu verhindern, veranlasst die Parteiführung handstreichartig die Vereinigung mit dem Jungdeutschen Orden, einer aus dem Fronterlebnis erwachsenen sozialromantischen Bewegung. Die neue Partei nennt sich Deutsche Staatspartei.
Musterstimmzettel bei den Wahlen zum Deutschen Reichstag am 14. September 1930. Heuss kandidiert auf Liste 6 im Wahlkreis Württemberg und Hohenzollern für die Deutsche Staatspartei. (Faksimile, Stadtarchiv Ludwigsburg, N1 Bü 2) | |
1932 | Erscheinen von „Hitlers Weg” |
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1932/ 1933 | Übernahme der Herausgeberschaft der „Hilfe” |
Titelblatt der Zeitschrift „Die Hilfe”, 17. 3. 1934 Unter seiner Federführung steuert die „Hilfe” einen Kurs zwischen kritischer Distanz zur Uniformierung des gesellschaftlichen Lebens und Anpassung an die neuen Machthaber. Dabei zeigen sich auch gravierende Fehleinschätzungen über den Charakter des NS-Staates. Während sich Heuss 1933 in seinen Artikeln noch vorwiegend mit innergesellschaftlichen Fragen beschäftigt, weicht er in den folgenden Jahren zunehmend auf das Feld der Außenpolitik aus. Mit ihrer Linie bewegt sich die Zeitschrift immer wieder am Rande des Verbots. Aufgrund kritischer Artikel rückt Heuss ins Visier einer repressiven Kulturpolitik und wird mehrfach vom Propagandaministerium verwarnt. Ende 1936 muss er schließlich von seinem Herausgeberposten in der „Hilfe” zurücktreten, weil er nicht bereit ist, sich gleichschalten zu lassen. Bis 1942 publiziert er aber weiterhin auch in diesem Blatt. | |