Vom Schweigen zum Ritual. Die Bundespräsidenten zum Kriegsende 1945
Neuer Beitrag im Theoblog: Die Bundespräsidenten über den 8. Mai 1945
Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Seither haben Bundespräsidenten immer wieder den Anlass genutzt, um wichtige Reden zum Selbstverständnis der Deutschen zu halten. Doch diese wandelten sich mehr und mehr zum Ritual ohne Nachklang in der Bevölkerung.
Die berühmteste Rede zum Jahrestag des Kriegsendes hielt vermutlich Richard von Weizsäcker 1985. Doch er war weder der einzige noch der erste Bundespräsident, der an den 8. Mai 1945 erinnerte – und er war auch nicht der erste, der das Kriegsende zugleich als Ende des NS-Terrors und damit als eine Befreiung der Deutschen herausstrich. Die Reden der bundesdeutschen Staatsoberhäupter zu diesem Anlass spiegeln exemplarisch, wie sich die Deutschen langsam der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg annäherten. Je länger aber das Kriegsende zurücklag, desto mehr wandelte sich das Sprechen darüber zu einem Ritual, das in der Bevölkerung oft ohne Nachklang blieb.
Verzicht auf Gedenken: 1950-1965
Theodor Heuss‘ Diktum, am 8. Mai 1945 seien die Deutschen „erlöst und vernichtet in einem gewesen“, stammt aus seiner Abschlussrede im Parlamentarischen Rat und damit aus einer Zeit, bevor er zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Der Parlamentarische Rat hatte großen Wert darauf gelegt, das Grundgesetz am vierten Jahrestag des Kriegsendes zu verabschieden, was schließlich kurz vor Mitternacht auch geschah.
Nachdem Heuss dann am 12. September 1949 zum ersten Präsidenten des damals noch westdeutschen Staates gewählt worden war, wartete er nicht bis zum nächsten Jahrestag des Kriegsendes, um sich erneut öffentlich mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Schon im Dezember 1949 prägte er in Abgrenzung zur These der „Kollektivschuld“ den umstrittenen Begriff der „Kollektivscham“, den seine Nachfolger gerne aufgriffen.
Die Aufforderung zur Kollektivscham sollte insbesondere jene Deutschen zum Nachdenken anregen, die sich keiner persönlichen Schuld bewusst waren, die aber auch nicht aktiv gegen die Terrorherrschaft der Nationalsozialisten vorgegangen waren. Wie die meisten seiner Zeitgenossen unterschied Heuss zwischen „den Nationalsozialisten“ und „den Deutschen“, wies aber darauf hin, dass alle „von den Dingen gewusst“ hätten, wie er es etwas nebulös ausdrückte.
1955, zum zehnten Jahrestag der deutschen Kapitulation, stellte Heuss zum ersten Mal die Frage nach einem bundespräsidialen Gedenken an das Kriegsende. Seiner Meinung nach gab es jedoch keinen Grund für Feierlichkeiten. Es sei ja nicht einmal klar, ob es sich um Trauer- oder Freudenfeiern handeln sollte. Mit Adenauer kam er daher schnell überein, den Tag von offizieller Seite aus möglichst geräuschlos vorübergehen zu lassen.
Auch Heuss‘ Nachfolger Heinrich Lübke verzichtete auf ein offizielles Gedenken an das Kriegsende. In Abgrenzung zur DDR, die den Jahrestag regelmäßig als Erinnerungstag beging und sich damit nach westdeutscher Lesart an der Vergangenheit orientierte, betrieb der Westen eine zukunftsorientierte Politik – so der bundesrepublikanische Konsens. Rückblicke in Form eines offiziellen Gedenkens an das Kriegsende standen daher nicht auf der präsidialen Tagesordnung. […]