„Die Mütter können einfach nicht mehr!“
Vor 75 Jahren wurde das Deutsche Müttergenesungswerk gegründet. Elly Heuss-Knapp spielte eine zentrale Rolle.
Auf Initiative von Elly Heuss-Knapp wurde am 31. Januar 1950 das Deutsche Müttergenesungswerk gegründet. Bis heute ermöglicht es erschöpften Müttern – und inzwischen auch Vätern – eine Auszeit vom Alltag.
Von Dr. Gudrun Kruip
Als Elly Heuss-Knapp 1950 die Initiative zur Gründung des Deutschen Müttergenesungswerks ergriff, existierte die Bundesrepublik Deutschland noch nicht einmal ein Jahr. Die Folgen des deutschen Angriffskrieges waren überall sichtbar: Die Städte lagen in Trümmern; Vertriebene und Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten suchten Unterkunft und Arbeit im Westen, viele Männer waren gefallen oder noch in Kriegsgefangenschaft. Zahlreiche Frauen waren mit der Sorge um ihre Kinder und der Finanzierung der Familie auf sich gestellt.
Elly Heuss-Knapp war die Sorge dieser Frauen sehr bewusst. Seit der Wahl ihres Ehemannes Theodor Heuss zum ersten Bundespräsidenten im September 1949 war sie die erste „First Lady“ der Bundesrepublik und erhielt täglich Briefe, aus denen die Not der Nachkriegszeit sprach. Helfen konnte sie nur wenig; über ein eigenes Budget verfügte sie nicht. Was sie jedoch in die Waagschale werfen konnte, waren ihr Charisma als „erste Frau im Staat“ und ihre in langen Berufsjahren als Sozialpolitikerin erworbene Autorität.
Während die allgemeine Hilfsbereitschaft für Kinder hoch war, nahm niemand die überlasteten Frauen in den Blick. Frauen und Mütter waren aber Elly Heuss-Knapps Lebensthema. Von Jugend an hatte sie sich als Lehrerin und Sozialpolitikerin für Mädchen- und Frauenbildung sowie bessere Berufschancen für Frauen eingesetzt. Zudem hatte sie in zahlreichen Publikationen über das Thema „Mutter“ geschrieben. Sie sei die „Seele“ des Hauses, eine Quelle für Gesundheit, Fürsorge und Wissen. Doch um das einzulösen, mussten Frauen gesund und belastbar sein.
„Ich mache eine Aktion für die Mütter“
Schon vor ihrer Zeit als „First Lady“ hatte Elly Heuss-Knapp das evangelische Müttergenesungsheim in Stein bei Nürnberg und dessen Leiterin Antonie Nopitsch kennengelernt. Bei einem Besuch im Juli 1949 wurde ihr die Not der Mütter unmittelbar vor Augen geführt: Fast alle Ehemänner der dort kurenden Frauen waren tot, vermisst, krank oder arbeitslos, fünf Personen wohnten in der Regel auf 10 Quadratmetern und bei Wäsche und Lebensmitteln reichte das Geld nicht einmal für das Nötigste. Aber auch die Müttererholungsheime selbst standen finanziell vor dem Aus. Mütter hatten keine Lobby, und deren Leistungsbereitschaft und Durchhaltevermögen selbst unter widrigsten Umständen wurde schlichtweg vorausgesetzt. Die kargen finanziellen Mittel zur Linderung sozialer Not wurden nicht für Mütter eingesetzt.
Elly Heuss-Knapp, schwer herzkrank, musste ihre Energie und ihre finanziellen Ressourcen auf ein Projekt konzentrieren, und das sollten nach der Erfahrung in Stein die Mütter sein. Sie war überzeugt: „Wenn ich ihnen helfe, helfe ich dem ganzen Volk.“ Gemeinsam mit Antonie Nopitsch entwickelte sie die Idee eines „Deutschen Müttergenesungswerks“. In dieser überkonfessionellen Dachorganisation sollten sich alle Institutionen zusammenfinden, die bereits Müttererholung anboten. Sie blieben eigenständig, warben aber gemeinsam um Spenden und teilten sie nach einem festgelegten Schlüssel auf.
Elly Heuss-Knapp sorgte insbesondere für die Öffentlichkeitsarbeit. Vehement mischte sie bei der Gestaltung der Plakate mit, die für die jährlich am Muttertag stattfindenden Spendenaktionen warben, und spannte ihren Ehemann, immerhin als Bundespräsident der erste Mann im Staat, für ihr Anliegen ein. Publikumswirksam schenkte sie ihm die Gründung des Müttergenesungswerks zum 66. Geburtstag am 31. Januar 1950. Schon im ersten Jahr konnte die Müttergenesung 2.5 Millionen DM einsammeln und somit 26.000 Mütter eine Erholung ermöglichen – ein enormer Erfolg. Jede Spende wurde mit kleinen Papierblümchen belohnt, die lange zum Symbol des Deutschen Müttergenesungswerks wurden. Bis heute gehören sie in Form einer stilisierten Blume zum Logo der Einrichtung.
„Elly Heuss-Knapp-Stiftung“
Obwohl bislang jede Frau eines Bundespräsidenten die Schirmherrschaft für das Müttergenesungswerk übernahm, wird es heute vor allem mit seiner Gründerin verbunden – und trägt als „Elly Heuss-Knapp Stiftung, Deutsches Müttergenesungswerk“ ihren Namen. „Elly Heuss-Knapp war das Deutsche Müttergenesungswerk und das Deutsche Müttergenesungswerk war Elly Heuss-Knapp“ (Alexander Goller). Für Elly Heuss-Knapp selbst war es die „Krönung ihres Lebens“.
Das Müttergenesungswerk verhalf einer großen Bevölkerungsgruppe ohne Lobby zur öffentlichen Wahrnehmung und zur konkreten Unterstützung. Üblicherweise kommt die Rentenkasse für eine Kur auf, um die Erwerbstätigkeit ihrer Versicherten möglichst schnell und dauerhaft wieder herzustellen. Die Berechtigung für eine solche Kur orientiert sich am Erwerbsstatus – und Mütter ohne eigene Berufsarbeit fallen durch das Raster. Die Müttererholung ist stattdessen bei den Krankenkassen angesiedelt, und eine Kur ist somit auch ohne eine eigene Rentenversicherung möglich. Bei entsprechender medizinischer Indikation besteht sogar ein Rechtsanspruch auf eine Mütterkur. Das ist bemerkenswert, denn im Gegensatz zu anderen Kuren setzt die Müttererholung weniger auf Rehabilitation denn auf Prävention und obendrein gilt das Prinzip „stationär vor ambulant“. Damit wird berücksichtigt, dass eine Erholung für Mütter am besten gewährleistet ist, wenn sie frühzeitig stattfindet und die Frauen außerdem am Abend nicht doch noch für die Familie sorgen müssen.
Gesellschaft im Wandel
Seit 1950 hat sich das Fremd- und Selbstbild von Frauen und Müttern gewandelt. Frauen sind selbstbewusster, selbstbestimmter und finanziell unabhängiger geworden. Vertritt das Deutsche Müttergenesungswerk dagegen nicht das reichlich angestaubte Frauen- und Familienbild einer Mutter, die sich bis zur Erschöpfung aufreibt?
Die Doppelbelastung durch Familie und Beruf führt bei Frauen noch immer zu Erschöpfungssyndromen. Weiterhin sind es in der Mehrzahl Frauen, auf denen die Hauptlast der Erziehung, der häuslichen Pflege und der familiären Alltagsorganisation (Mental Load) ruht. Im Angebot des Müttergenesungswerks schlagen sich aber die veränderten gesellschaftlichen Muster nieder: Inzwischen richten sich die Kurangebote auch an Väter sowie pflegende Angehörige. Das Müttergenesungswerk erkennt damit grundsätzlich familiäre, unentgeltlich erbrachte Leistungen und deren Herausforderungen an, auch wenn es mit seinen Angeboten kaum konkrete gesellschaftliche Änderungen bewirken kann.