Lobbyismus und parlamentarische Demokratie. Das Theodor-Heuss-Kolloquium 2023 im Rückblick
Was machen Lobbyistinnen und Lobbyisten im Parlament? Wie reagieren Abgeordnete auf die versuchte Einflussnahme? Und welche Rolle spielt Interessenvertretung im modernen Parlamentarismus generell?
Mit diesen Forschungsfragen beschäftigte sich das Theodor-Heuss-Kolloquium zum Thema „Lobbyismus und parlamentarische Demokratie“ am 12. und 13. Oktober 2023 in Berlin. Veranstaltet wurde die wissenschaftliche Fachtagung von der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus gemeinsam mit der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien (KGParl).
Parlamentarier und Lobbyisten
Unter der Leitung des wissenschaftlichen Mitarbeiters der Stiftung Dr. Thorsten Holzhauser und des ehemaligen Beiratsmitglied Prof. Dr. Andreas Schulz, trafen sich 45 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen in der Berliner Leibniz-Gemeinschaft. Ihr Ziel war es, das Kommunikationsverhältnis zwischen Parlamentariern und Lobbyisten zu ergründen und seine historische Entwicklung bis in die Gegenwart zu diskutieren.
Entwicklungen des Lobbyismus
Wie schon die einleitende Keynote-Lecture von Paul Seaward, dem Direktor des britischen History of Parliament Trust, deutlich machte, begleiten lobbyistische Tätigkeiten die Entstehung des modernen Parlamentarismus von Beginn an und erlebten zugleich durch die Jahrhunderte signifikante Wandlungen. Ihre Ausweitung und Professionalisierung waren eng verbunden mit der Entwicklung parlamentarischer Demokratien, aber auch mit historischen Phänomenen wie Industrialisierung, Parlamentarisierung und Kolonialismus.
In fünf Sektionen wurde anhand konkreter Fallbeispiele herausgearbeitet, wie Lobbyisten in verschiedenen Parlamenten zu verschiedenen Zeiten arbeiteten und wie die jeweiligen Gesetzgebungskörperschaften auf deren Einflussnahme reagierten: im Reichstag und im Bundestag, im britischen und im amerikanischen Parlament sowie auf europäischer Ebene in Brüssel und Straßburg.
Lobbyist Theodor Heuss?
Mal wurde Lobbyismus von Parlamentariern als Problem angesehen, das es zu regulieren und einzugrenzen galt, mal dominierten ein positiveres Lobbyismus-Verständnis und eine enge Verflechtung zwischen Parlament und Interessenpolitik. Ein Fallbeispiel stellt Theodor Heuss selbst dar. In den 1920er Jahren spielte er die Doppelrolle eines Reichstagsabgeordneten und Verbandsvertreters spielte, zugleich aber scharfe Kritik am Einfluss organisierter Interessen im modernen Parlamentarismus übte.
Grenzen des Lobbyismus
Besonders intensiv diskutierte die Tagung die Grenzbereiche des Lobbyismus: Findet erfolgreiches Lobbying nur hinter den Kulissen statt oder gehören dazu auch öffentliche Werbe-Kampagnen? Können auch staatliche Akteure in anderen Ländern als Interessenvertreter im Sinne eines transnationalen „Regierungslobbyismus“ auftreten? Das Theodor-Heuss-Kolloquium konnte Antworten auf zentrale Forschungsfragen geben und dabei Impulse für die weitere Entwicklung einer historischen Lobbyismus-Forschung geben.
Podiumsdiskussion: Wer macht unsere Politik?
Mit der Tagung verbunden war ein öffentliches Podiumsgespräch über den Stellenwert von Lobbyismus in unserer heutigen parlamentarischen Demokratie. Über die Leitfrage „Wer macht unsere Politik?“ diskutierten die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Katarina Barley, die politische Geschäftsführerin von LobbyControl Imke Dierßen, der Lobbyist und Unternehmensgründer Klemens Joos sowie die beiden Historiker Jens Ivo Engels und Dominik Geppert, der das Gespräch moderierte.