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Geschichte Demokratie leben

Theodor Heuss

Das Wirken und Schaffen des ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland

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Kaiserreich

1884 Theodor Heuss – Lebensstationen 31.01.1884 Geburt

Am 31. Januar 1884 wird Theodor Heuss in Brackenheim bei Heilbronn als dritter Sohn des Regierungsbaumeisters Louis Heuss und seiner Frau Elisabeth, geb. Gümbel, geboren.

Das bildungsbürgerliche Elternhaus steht väterlicherseits in der Tradition der Revolution von 1848/49 und des Linksliberalismus des Kaiserreichs. Es vermittelt Heuss eine Offenheit für die kulturellen und politischen Debatten seiner Zeit, die für sein weiteres Leben prägend sein sollte.

1892 Eintritt ins humanistische Karls-Gymnasium
Portrait des jungen Theodor Heuss
Theodor Heuss als Vierzehnjähriger, 1898, Foto: C. Kubica, Familienarchiv Heuss, Basel

Aufgrund neuer beruflicher Aufgaben des Vaters zieht die Familie 1890 nach Heilbronn um. 1892 tritt Theodor Heuss in das Karls-Gymnasium ein, wo er sich das literarische, kulturelle und historische Bildungsgut seiner Zeit aneignet.

Zwischen seinem 16. und 21. Lebensjahr hält er in einem überlieferten Oktavheft mit über 800 Eintragungen seine Lektüre fest – eine Art Register der europäischen Literaturgeschichte des späten 19. Jahrhunderts. Darüber hinaus entwickelt sich sein politisches Interesse in der Auseinandersetzung mit der von Friedrich Naumann herausgegebenen Zeitschrift „Die Hilfe”. In den Artikeln dieses Blattes werden das preußische Dreiklassenwahlrecht und die Schutzzollpolitik bekämpft sowie der deutschen Kolonialpolitik und einer Verständigung des Liberalismus mit der Sozialdemokratie das Wort geredet. Heuss' erste Veröffentlichung erscheint 1902 in der "Hilfe” über Wilhelm Busch.

1902 Erste Begegnung mit Friedrich Naumann
Theodor Heuss und Friedrich Naumann vor der Redaktion der „Hilfe”, Foto: Familienarchiv Heuss, Basel

Nach dem Abitur besucht Theodor Heuss im Rahmen einer Wanderung durch Norddeutschland den Parteitag des Nationalsozialen Vereins in Hannover und begegnet dort erstmals der Person, die seinen weiteren Lebensweg von nun an maßgeblich beeinflussen sollte.

Friedrich Naumann (1860–1919) kommt politisch von der christlich-sozialen Bewegung des Hofpredigers Adolf Stöcker her, von deren Konservativismus und Antisemitismus er sich zunehmend distanziert. Beeinflusst von Max Weber gründet Naumann 1896 den Nationalsozialen Verein, der für eine Verbindung von sozialem und nationalem Gedankengut, von Demokratisierung der Monarchie und Weltmachtpolitik eintritt. 

Vor allem befürwortet er eine Überbrückung der Kluft zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum, indem er das Bürgertum für die Bedeutung der sozialen Frage und die Arbeiterschaft für einen starken nationalen und monarchisch geführten Staat zu gewinnen sucht. In seinen politischen, sozialen und nationalen sowie wirtschaftlichen und ethischen Vorstellungen hat sich Heuss später immer wieder auf Naumann berufen.

1902 - 1905 Studium der Nationalökonomie in München und Berlin
Im Fotoatelier mit den Freunden der Münchner Jahre (v.l. oben n.r. unten): Karl Glass, Theodor Heuss, Gustav Stotz. Foto: Familienarchiv Heuss, Basel

Statt sein Studium – wie es für einen Schwaben seinerzeit üblich war – an der geistigen Neckarmetropole Tübingen zu beginnen, geht Theodor Heuss nach München, um u. a. bei dem Nationalökonomen Lujo Brentano, einem Naumann-Anhänger, Vorlesungen zu hören. Klare Vorstellungen über seine Studienziele hat Heuss freilich noch nicht, belegt er doch neben Nationalökonomie auch Staatslehre, Philosophie, Geschichte, Kunstgeschichte und Literatur. Doch vor allem die sozialpolitisch orientierte Nationalökonomie Brentanos ist es, die auf den jungen Heuss Einfluss ausübt.

1903 wechselt Heuss zum Studium nach Berlin, vor allem um in Naumanns Nähe zu sein. Dort sammelt er bei den preußischen Landtagswahlen als Wahlkämpfer für Naumann erste Erfahrungen im politischen Alltagsgeschäft. 1904 nach München zurückgekehrt, schreibt er 1905 bei Brentano in wenigen Wochen seine Dissertation über „Weinbau und Weingärtnerstand in Heilbronn a. N.”. Noch vor dem Abschluss der Promotion kündigt sich eine zentrale Weichenstellung für Heuss' Leben an: Ihn erreicht der Ruf Naumanns aus Berlin, in die Redaktion seiner Zeitschrift „Die Hilfe” und damit in eine für bildungsbürgerliche Verhältnisse ungesicherte journalistische Existenz einzutreten.

1905 Eintritt in die Redaktion der „Hilfe” in Berlin
Titelblatt der Wochenschrift Die Hilfe
Seine ersten journalistischen Sporen verdient sich Heuss bei der von Friedrich Naumann herausgegebenen Wochenschrift „Die Hilfe”. In der abgebildeten Ausgabe vom 22. 7. 1906 kommentiert Heuss unter der Überschrift „Die Demokratisierung des deutschen Südens” die Verfassungsreform im Königreich Württemberg. (Faksimile, SBTH)

1894 als christlich-soziales Blatt von Friedrich Naumann gegründet, entwickelt sich „Die Hilfe” in den kommenden Jahren in außenpolitischen Fragen zu einem Sprachrohr der Kolonial- und Weltpolitik, die aber von gesellschaftlichen Reformen im Rahmen eines sozialen und demokratischen Kaisertums begleitet werden soll. Dieser soziale Nationalismus der „Hilfe” findet mit dem Zusammenschluss mehrerer linksliberaler Parteien seit 1910 zunehmend Verbreitung im Bürgertum. Theodor Heuss ist zunächst beinahe ausschließlich für das literarische Beiblatt der Zeitschrift zuständig. Er schreibt überwiegend Feuilleton-Beiträge, die in ihrer allgemein verständlichen Art der volkspädagogischen Absicht Naumanns entsprechen. 1907 übernimmt Heuss auch die politische Redaktion der Zeitschrift und erörtert nun zunehmend grundsätzliche Themen wie das Verhältnis zur Sozialdemokratie und das preußische Dreiklassenwahlrecht, Parlamentarisierung der Reichsverfassung und Sozialpolitik, kaum hingegen Fragen der Außenpolitik. Der Schwerpunkt seiner Beiträge liegt aber weiterhin auf literarisch-künstlerischem Gebiet.

Die von ihm anvisierte Verbindung von Politik und Journalismus kann er in der „Hilfe” nur unvollkommen verwirklichen; doch wird in dieser Zeit der Grundstein für sein reiches journalistisches Berufsleben gelegt. Parallel neben der „Hilfe” publiziert Heuss in zahlreichen anderen Zeitschriften. Außerdem engagiert er sich parteipolitisch für den Linksliberalismus um Naumann.

1906 Kunstgeschichtliche Bildungsreise nach Paris
Skizze Notre-Dame in Paris
Theodor Heuss: Paris, Kreide auf Papier, 28. 8. 1925. Faksimile: Familienarchiv Heuss, Basel

Eine der ersten größeren Auslandsreisen führt Theodor Heuss für drei Wochen nach Paris, wo er sich unter kunstgeschichtlichen und kulturellen Aspekten die französische Hauptstadt erschließt. Neue Eindrücke und Erkenntnisse werden von ihm auf Ansichtskarten und in kurzen Briefen an Freunde oder Verwandte notiert und Beobachtungen und Impressionen auf dem Zeichenblock festgehalten.

So schreibt er an die Freundin Lulu von Strauß und Torney am 2. Juni 1906 aus Paris: „Seit über 14 Tagen fahr ich hier herum, lauf durch die Kirchen und Museen und stopfe meinen armen Kopf mit Eindrücken voll. Paris ist eine unvergleichliche Stadt: Architektur, Anlage, Menschen, alles mit einem gewissen großen und imponierenden Stil” (Theodor Heuss – Lulu von Strauß und Torney. Ein Briefwechsel, Düsseldorf/Köln 1965, S. 95).

Schon als Jugendlicher hat Heuss Teile Deutschlands erwandert. Als junger Redakteur beginnt er damit, seine Studienreisen in die europäischen Nachbarländer auszuweiten. Zur Finanzierung dieser Reisen verfasst Heuss kleinere Artikel und Reiseskizzen, die er in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. Seine „Pariser Eindrücke” erscheinen wenige Monate später in „Patria”, dem Jahrbuch der „Hilfe”.

In den kommenden Jahren unternimmt Heuss weitere Reisen nach Belgien (1907/1910), in die Schweiz (1908), nach Italien (1909/1913/1939), England (1911), Österreich (1912), Dänemark (1918/1926), Griechenland (1931) sowie auf den Balkan (1928).

1907 Erfolgreicher Reichstagswahlkampf für Friedrich Naumann in Heilbronn
Portrait-Fotografie Friedrich Naumann
Friedrich Naumann (1860–1919). Foto: E. Bieber, Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz

Noch vor dem Ersten Weltkrieg nimmt Heuss vier Mal aktiv an Wahlkämpfen teil. Bei seinen Wahlreden in zahllosen Dorfgaststätten, Turnhallen und Versammlungssälen wird er mit den Besonderheiten sowohl kleinstädtisch-ländlicher als auch großstädtisch-proletarischer Milieus konfrontiert; in zahlreichen Briefen an Elly Knapp berichtet er anschaulich von seinen Erlebnissen und den damaligen Methoden der Wählergewinnung. Im Reichstagswahlkampf 1906/7 kann er zusammen mit Münchner Freunden Friedrich Naumann im heimatlichen Wahlkreis Heilbronn zum Sieg verhelfen.

1908 Hochzeit mit Elly Knapp in Straßburg
Portraitfotografie der sitzenden Elly Knapp und des daneben stehenden Theodor Heuss
Elly Knapp und Theodor Heuss im Winter 1905/06 in Berlin. Foto: Familienarchiv Heuss, Basel

Im Haus von Friedrich Naumann begegnet Theodor Heuss 1905 der drei Jahre älteren Elly Knapp (1881-1952), die in Berlin Volkswirtschaft studiert. Sie stammt aus einer hochangesehenen Professorenfamilie, die verwandtschaftliche Beziehungen zu Justus von Liebig, Adolf Harnack und Hans Delbrück unterhält. Ellys Vater, Georg Friedrich Knapp, lehrt als Professor für Nationalökonomie in Straßburg.

Elly absolviert 1899 das Lehrerinnenexamen. Anschließend erteilt sie Unterricht in einer von ihr gegründeten Privatschule und hält zahlreiche Vorträge zu sozialen und Frauenfragen. Publizistisch wirkt sie u. a. in der „Hilfe” von Naumann mit, den sie schon 1903 kennengelernt hatte. Mit Heuss verbindet sie von Anfang an die Bewunderung für die Person und Politik Naumanns. Friedrich Naumann ist es auch, der anlässlich der Hochzeit von Theodor Heuss und Elly Knapp am 11. April 1908 die Tischrede hält. Die Trauung selbst nimmt kein Geringerer als Albert Schweitzer vor, ein Jugendfreund der Braut.

1910 Geburt des Sohnes Ernst Ludwig
Familie Heuss: Elly und Theodor Heuss mit ihrem Sohn Ernst Ludwig (1910–1967), um 1911. Foto: Familienarchiv Heuss, Basel

Am 5. August 1910 bekommen Elly Heuss-Knapp und Theodor Heuss ihr einziges Kind, Ernst Ludwig. Die schwierige Geburt hätte der Mutter fast das Leben gekostet.

Ernst Ludwig Heuss studiert Jurisprudenz, kann aber zu Beginn des „Dritten Reiches” nicht mit einer Aufnahme in den juristischen Dienst rechnen, da er wie auch seine Eltern dem Nationalsozialismus offenkundig ablehnend gegenübersteht. So tritt er in den Kaufmannsberuf ein und wird nach Kriegsbeginn schließlich Leiter in der „Reichsstelle Leder”. Als Gegner des Nationalsozialismus hilft er in dieser Zeit zahlreichen Unterdrückten und Verfolgten.

Er schließt sich dem Widerstandskreis um Fritz Elsas an, mit dem er über seinen Vater bekannt wird. In den Schlusswirren des Krieges befreit er in einer waghalsigen Aktion politische Gefangene aus dem Berliner Gefängnis Moabit und schützt das Haus der Eltern vor Brand und Plünderung.

Nach dem Krieg wird er Chef der Wybert GmbH in Lörrach, später auch der Gaba AG in Basel.

Er stirbt am 14. Februar 1967.

1912 Übernahme der Chefredaktion der Heilbronner „Neckar-Zeitung”
Als Chefredakteur der „Neckar-Zeitung“ berichtet Heuss am 29. Juni 1914 über die Ermordung des österreichischen Thronfolgerpaars in Sarajewo. Bis dahin waren bei dem Blatt weder Schlagzeilen noch Abbildungen üblich. (Faksimile, Württembergische Landesbibliothek)

Seitdem 1902 der Naumann-Anhänger Ernst Jäckh die Chefredaktion der „Neckar-Zeitung” übernommen hatte, bestand eine enge Verbindung zu Friedrich Naumann, den das Blatt im Wahlkampf 1907 massiv unterstützt. Als Jäckh in die Geschäftsführung des Deutschen Werkbundes nach Berlin berufen wird, tritt Theodor Heuss 1912 dessen Nachfolge als Chefredakteur der „Neckar-Zeitung" an, für die er schon von Berlin aus regelmäßig geschrieben hat.

Der Schwerpunkt von Heuss' journalistischer Tätigkeit liegt auf tagespolitischen Fragen, die zumeist in Leitartikeln abgehandelt werden. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges schwenkt die Zeitung ganz auf den als gerecht empfundenen Krieg ein. Mit nationalem Pathos kommentiert Heuss täglich das Kriegsgeschehen.

In der innenpolitischen Reformdebatte redet er seit 1917 – noch ganz im Banne der Burgfrieden-Politik – einer zurückhaltenden Parlamentarisierung das Wort und lehnt eine vollständige Entmachtung des Kaisers zugunsten des Reichstags oder eine Republik ab. Zunehmend unzufrieden mit seiner Arbeit als Chefredakteur folgt Heuss zum Jahr 1918 dem Ruf des Deutschen Werkbundes nach Berlin.

1912 Erfolglose Kandidatur in Backnang für den württembergischen Landtag
Wahlanzeige für Heuss bei den Wahlen zum württembergischen Landtag 1912 Backnanger Volksfreund, 16.11.1912 (Faksimile: Württembergische Landesbibliothek.)

Kaum nach Heilbronn umgezogen, kandidiert Theodor Heuss im Herbst 1912 im Wahlkreis Backnang für ein Mandat im Landtag des Königreichs Württemberg. Doch im entscheidenden zweiten Wahlgang unterliegt er gegen den Kandidaten des konservativen württembergischen Bauernbundes. Den bürgerlichen und bäuerlichen Wählern Backnangs ist Heuss zu jung und zu links – und wohl als frisch aus Berlin Zugereister ohnehin suspekt.

1913 Übernahme der Redaktion des „März”
Für die Zeitschrift „März” schreiben prominente Schriftsteller wie Ludwig Thoma oder solche, die es, wie Kurt Tucholsky, bald werden sollten. (Faksimile, SBTH)

Auf Vorschlag des Stuttgarter Demokraten Conrad Haußmann übernimmt Theodor Heuss 1913 die Schriftleitung der politisch-literarischen Zeitschrift „März”, die 1907 u. a. von Ludwig Thoma und Hermann Hesse gegründet wurde. Unter dem Einfluss von Haußmann und Heuss entwickelt sich das Blatt zu einer national-liberalen Wochenschrift, die Kräfte aus Politik, Literatur und Kunst um sich sammelt.

Bis 1914 tritt die Zeitschrift für eine deutsch-französische Verständigung, Parlamentarisierung und Demokratisierung ein und versucht, der weitverbreiteten Kriegspsychose entgegenzutreten. Nach 1914 wird der „gerechte Krieg” zentrales Thema, doch der literarische Teil unter dem Einfluss Hermann Hesses sorgt für eine distanzierte Haltung zum Kriegsgeschehen. Heuss selber publiziert in dieser Zeit überwiegend Beiträge zu Kunst und Literatur, wobei die Themenauswahl sich oftmals am Krieg orientiert. Eingriffe der Zensur erschweren die Arbeit der Zeitschrift, schließlich muss der „März“ infolge eines fortschreitenden wirtschaftlichen Niedergangs sein Erscheinen im Jahr 1917 einstellen.

1914 - 1918 Kommentator des Krieges
Theodor Heuss: Hermann Hesse, der „vaterlandslose Gesell”, in: Neckar-Zeitung, 1. 11. 1915. Faksimile, Stadtarchiv Heilbronn

Aufgrund einer 1902 zugezogenen Schulterverletzung bleibt Theodor Heuss das generationenspezifische Kriegserlebnis erspart. Stattdessen kommentiert er als Redakteur zweier Blätter regelmäßig das Kriegsgeschehen und stimmt 1914 in den Chor der nationalen Begeisterung mit ein:

„Der Ausgang des Krieges muß nicht nur die Überlegenheit unserer militärischen Technik, sondern auch die sittliche Kraft und das moralische Recht des Deutschtums im Herzen Europas erweisen”

(März, 8. Jg./Nr. 34 vom 15.8.1914, S. 224).

Der Deutschland vermeintlich aufgezwungene Krieg rechtfertigt für Heuss auch die Verletzung der belgischen Neutralität. Noch 1917 heißt er den von deutscher Seite erklärten uneingeschränkten U-Boot-Krieg gut. Einen Frieden ohne Grenzverschiebungen lehnt Heuss ab, befürwortet er doch im Sinne des Naumannschen Mitteleuropakonzepts eine Zurückdrängung Russlands und eine Einbeziehung der östlichen „Zwischenvölker” in eine mitteleuropäische Staatengruppe unter deutscher Vorherrschaft. Die chauvinistisch übersteigerte Kriegshysterie teilt Heuss' liberaler „Föderativimperialismus” freilich nicht. Verfassungs- und gesellschaftspolitisch geht Heuss von der Reformfähigkeit des wilhelminischen Staates aus. Im Zeichen der Burgfrieden-Politik scheut er grundsätzliche Kritik an der Monarchie, die er als Symbol einer zentralistischen Reichseinheit befürwortet.

Zurückhaltender als vor dem Krieg fordert er seit 1917 eine Demokratisierung im Rahmen eines Volkskaisertums, ohne freilich die Regierung in Abhängigkeit vom Parlament bringen zu wollen.

„... der vaterlandslose Gesell” Als bekannt wird, dass sich Hermann Hesse 1915 in einem Brief an den dänischen Schriftsteller Sven Lange von der Kriegseuphorie in Deutschland distanziert hat, beginnt eine Pressekampagne gegen den schwäbischen Dichter. Heuss nimmt Hesse in der „Neckar-Zeitung“ vor der Beschimpfung als „Vaterlandsverräter” in Schutz.

1918 Übernahme der Geschäftsführung des Deutschen Werkbundes und der Schriftleitung der Zeitschrift „Deutsche Politik” in Berlin
Teilansicht der Stuttgarter Weißenhofsiedlung vom Höhenrestaurant aus, Januar 1930. Foto: Landesmedienzentrum Baden-Württemberg, Stuttgart

Das Jahr 1918 markiert für Theodor Heuss in politischer und persönlicher Hinsicht einen tiefen Einschnitt. Im Januar 1918 beendet er seine sechsjährige Tätigkeit als Chefredakteur der „Neckar-Zeitung“, um in Berlin die Schriftleitung der 1916 gegründeten Zeitschrift „Deutsche Politik” zu übernehmen.

Diese Wochenschrift für deutsche „Welt- und Kulturpolitik” erörtert überwiegend außenpolitische Fragen und propagierte einen gemäßigt imperialistischen Kurs, wofür sie auch namhafte Wissenschaftler als Autoren gewinnt. Als die Zeitschrift 1922 ihr Erscheinen aus wirtschaftlichen Gründen einstellen muss, übernimmt Heuss im Mai desselben Jahres die Redaktionsleitung der 1919 gegründeten politischen Monatsschrift „Die Deutsche Nation”, zu deren Herausgebern Conrad Haußmann und Kurt Riezler er freundschaftliche Beziehungen unterhält. Beide Zeitschriften stehen der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) nahe.

Mit dem Wechsel nach Berlin ist vor allem auch der Eintritt in die Geschäftsführung des Deutschen Werkbundes verknüpft. Im Werkbund haben sich 1907 Architekten, Künstler, Handwerker und Industrielle zusammengeschlossen, um sich für ästhetisch ansprechende, qualitativ hochwertige Produkte der industriellen und handwerklichen Fertigung einzusetzen.

Heuss, der bereits kurz nach der Gründung des Werkbundes Mitglied geworden ist, gehört von 1918 bis 1921 der Geschäftsleitung, von 1924 bis zur „Gleichschaltung” des Bundes im Jahr 1933 dem Vorstand an. Von Heuss' lebhaftem Interesse an Fragen der Architektur und Gebrauchsästhetik zeugen seine zahlreichen Essays zur Entwicklung der Baukunst ebenso wie seine öffentlichen und verbandsinternen Stellungnahmen zu den umstrittenen Zielsetzungen des Werkbundes.

1918 Eintritt in die DDP

Um sich am demokratischen Neuaufbau zu beteiligen, tritt Theodor Heuss sogleich der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) bei, die am 20. November 1918 von Friedrich Naumann gegründet wird. Neben den Sozialdemokraten und dem katholischen Zentrum gehört sie zu den drei entschieden republiktreuen Parteien der Weimarer Zeit.

Weimarer Republik

1919 Vergebliche Kandidatur zur Nationalversammlung und erfolgreicher Start als Kommunalpolitiker

Obwohl Theodor Heuss dem revolutionären Geschehen von 1918/19 reserviert bis ablehnend gegenübersteht (er spricht von einer „großen unblutigen Kasernenrevolte”) und die Frage der Staatsform (Monarchie oder Republik) für wenig bedeutsam hält, sieht er im Umsturz doch die Chance zu einem demokratischen Neuaufbau, an dem er persönlich mitwirken will.

Heuss' Versuch, sich als Abgeordneter der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) an der Ausarbeitung einer neuen Verfassung in Weimar zu beteiligen, scheitert jedoch, als er bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 von seiner Partei auf einen aussichtslosen Listenplatz gesetzt wird. Sein erstes politisches Mandat nimmt er daher auf kommunalpolitischer Ebene wahr, der er, anknüpfend an die Ideen des Freiherrn vom Stein, große Bedeutung für die Bildung einer demokratischen Staatsbürgergesellschaft beimisst. So wirkt er seit 1920 als Bezirksverordneter von Berlin-Schöneberg und von 1929 bis 1933 in der Stadtverordneten-Versammlung für Groß-Berlin, in der er sich seit Mai 1930 heftige Wortgefechte mit den Nationalsozialisten liefert.

Mit der sogenannten „Machtübernahme” der Nationalsozialisten verliert Heuss nicht nur sein 1924 dann doch gewonnenes Reichstagsmandat, sondern auch den Sitz in der Berliner Stadtverordneten-Versammlung. Ein Fresko im Ratskeller des Schöneberger Rathauses zeigt Heuss beim Genuss von Wein und Zigarren im Kreis seiner Bezirksverordneten-Kollegen.

1920 Dozententätigkeit an der Deutschen Hochschule für Politik
Theodor Heuss im Kreis von Kolleginnen und Kollegen sowie Studierenden der Deutschen Hochschule für Politik, 1922 (1. Reihe 2.v.l.). Foto: Familienarchiv Heuss, Basel

Als Dozent hält Theodor Heuss von 1920 bis 1933 an der Deutschen Hochschule für Politik, deren Gründung auf eine Initiative Naumanns zurückgeht, Vorlesungen und Übungen zur Parteien- und Verfassungsgeschichte, zur jüngsten Zeitgeschichte sowie zu aktuellen politischen Fragen. Daneben obliegen ihm in der Funktion eines „Studienleiters” bis 1927 die Rekrutierung von Dozenten und die Koordination des Lehrprogramms. Obwohl die Leitung wie auch die Mehrheit des Lehrkörpers der DDP angehören, wird das Lehrprogramm der Hochschule von Wissenschaftlern und Politikern unterschiedlicher Couleur bestritten – von Martin Spahn bis Rudolf Hilferding, von Werner Sombart bis Hermann Heller.

In diesem Zusammenhang tritt Heuss auch als Programmatiker hervor: In seiner 1921 veröffentlichten Denkschrift zur Gründung der Hochschule mahnt er die Schaffung einer politischen, staatsbürgerlichen Tradition an, die den „unpolitischen Deutschen” bisher nicht gegeben sei; seine Ausführungen zur „modernen Demokratie” akzentuieren – charakteristisch für die zeitgenössische Demokratietheorie – das „Führerproblem” und erörtern das Verhältnis von Wissenschaft und politischer Bildung.

Mit der Gleichschaltung der Hochschule verliert Heuss im Frühjahr 1933 seine Stelle als Dozent und damit eine seiner wichtigsten Einkommensquellen. Die Deutsche Hochschule für Politik wird 1948 unter dem Sozialdemokraten Otto Suhr wiederbegründet und 1959 als Otto-Suhr-Institut in die Freie Universität Berlin eingegliedert.

1924 Wahl in den Reichstag
Foto aus dem Abgeordnetenausweis von Theodor Heuss. Foto: Familienarchiv Heuss, Basel

Im Mai 1924 zieht Theodor Heuss für die DDp als jüngster Abgeordneter in den Reichstag ein, dem er bis zum 12. Juli 1933 mit zwei Unterbrechungen (1928 bis 1930, November 1932 bis März 1933) angehört.

Als Parlamentarier, Politiker und Verbandsfunktionär entfaltet er außerordentlich viele Aktivitäten. Bis 1933 tritt er als Redner für seine Partei und gegen die Auflösungstendenzen der Weimarer Republik auf.

Im Parlament wirkt er in bis zu sieben Ausschüssen mit, u. a. im Kriegsopfer-, Kultur- und Schulausschuss. Seine Reden beschäftigen sich beispielsweise mit dem Verhältnis von Staat und Kirche, mit Bildungs- und Kulturpolitik, mit dem Problem des Föderalismus und des Auslandsdeutschtums sowie zunehmend mit dem erstarkenden Nationalsozialismus.

1926 Rücktritt vom Vorsitz des Schutzverbands Deutscher Schriftsteller

Als Journalist und Anhänger des sozialen Liberalismus Friedrich Naumanns ist Theodor Heuss für die sozialen und wirtschaftlichen Belange der schreibenden Berufe besonders sensibilisiert. So findet man Heuss 1909/10 unter den Gründungsmitgliedern des Schutzverbands Deutscher Schriftsteller, einer Interessenvertretung der geistigen Berufe, für die er sich 1911/12 und 1921 bis 1924 als zweiter Vorsitzender, 1925/26 als erster Vorsitzender einsetzt.

Im Schutzverband, der unter den über 1600 Autoren auch die literarische Prominenz der Weimarer Zeit von Walther Rathenau über Kurt Tucholsky bis Johannes R. Becher zu seinen Mitgliedern zählt, profiliert sich Heuss als Zentralfigur der „Gewerkschaftsskeptiker”, d. h. jener Mitgliedergruppe, die eine gewerkschaftliche Organisationsform der freischaffenden Autoren ablehnt.

Zum Bruch mit dem Schutzverband kommt es, als Heuss im Deutschen Reichstag im November 1926 für die Annahme der umstrittenen Gesetzesvorlage zur „Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften” eintritt: Die Schundliteratur wertet er als eine Form kapitalistischer Ausbeutung, der mit einer „Sozialpolitik der Seele” zu begegnen sei. Dass das am 3. Dezember verabschiedete Gesetz auf eine Definition von „Schund” verzichtet, hält Heuss im Vertrauen auf einen – faktisch freilich längst überholten – ästhetischen common sense für weniger problematisch. Seine Auffassung trägt ihm die wütenden Proteste zahlreicher Intellektueller von Thomas Mann über Wassily Kandinsky bis Albert Einstein ein und hat seinen Rücktritt vom Vorsitz des Schutzverbands Deutscher Schriftsteller zur Folge.

1928 Verlust des Reichstagsmandats

Hat die DDP 1919 in den Wahlen zur Nationalversammlung noch über 18 Prozent erhalten, so setzt seitdem der Niedergang des Linksliberalismus ein. 1928 erreicht die Partei nur noch knapp 5 Prozent; auch Theodor Heuss verliert sein Mandat in dem allgemeinen Abwärtstrend, in den die politische Mitte in der Weimarer Republik zunehmend gerät.

Den Selbstauflösungstendenzen in seiner Partei, die in den Juliwahlen 1932 schließlich nur noch 1 Prozent auf sich vereinen kann, stemmt sich Heuss entgegen. Sein Glaube an die Bedeutung der bürgerlichen Mitte ist noch ungebrochen.

1930 Rückkehr in den Reichstag für die Deutsche Staatspartei
Musterstimmzettel bei den Wahlen zum Deutschen Reichstag am 14. September 1930. Heuss kandidiert auf Liste 6 im Wahlkreis Württemberg und Hohenzollern für die Deutsche Staatspartei. Faksimile, Stadtarchiv Ludwigsburg, N1 Bü 2

Um bei den bevorstehenden Wahlen ein Abrutschen der Deutschen Demokratischen Partei in die politische Bedeutungslosigkeit zu verhindern, veranlasst die Parteiführung handstreichartig die Vereinigung mit dem Jungdeutschen Orden, einer aus dem Fronterlebnis erwachsenen sozialromantischen Bewegung mit antisemitischem Einschlag. Die neue Partei nennt sich Deutsche Staatspartei.

Theodor Heuss ist an den Verhandlungen für diese Parteineugründung nicht beteiligt und kritisiert wie viele seiner Parteifreunde die Art und Weise ihres Zustandekommens. Obwohl er den autoritären und antisemitischen Zügen der Jungdeutschen ablehnend gegenübersteht, wirbt er für die neue Partei und lässt sich in Württemberg für sie in den Reichstag wählen. Dort ziehen sich die Jungdeutschen nach Querelen mit den Liberalen bald aus der Staatspartei zurück. Heuss wird zum Geschäftsführer der deutlich geschrumpften Reichstagsfraktion, die bis 1932 das Präsidialkabinett Brüning unterstützt.

Einen zentralen Beitrag zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus leistet Heuss am 11. Mai 1932 vor dem Reichstag. In seiner Rede vor dem vollbesetzten Parlament bemüht er sich trotz gelegentlicher Polemik gegen störende Nationalsozialisten um eine sachliche Auseinandersetzung mit den programmatischen Aussagen und der politischen Praxis der NSDAP. So hellsichtig sich Heuss auch bei der Einschätzung einzelner Programmpunkte der NSDAP zeigt, so betrachtet er diese Partei doch weiterhin im Rahmen eines demokratischen und parlamentarischen Systems, das der Nationalsozialismus nur taktisch anerkennt, letztlich aber bewusst zerstören will. Wie viele seiner Zeitgenossen täuscht auch er sich über die Zukunft dieser neuartigen Bewegung, wenn er sie am Ende seiner Rede wie folgt charakterisiert:

„Die Ausstattung des Dritten Reiches wird aus einem Großausverkauf von neulackierten und aufgeputzten Ladenhütern der wilhelminischen Epoche bezogen sein, und davon, meine Herren, haben wir, denke ich, genug gehabt.”

1932 Erscheinen von „Hitlers Weg”

Nach dem großen Wahlerfolg der NSDAP im September 1930 entwickelt Heuss aus der gründlichen Lektüre nationalsozialistischer Schriften ein tieferes Verständnis für den Aufstieg dieser neuen Massenpartei. Seine Erkenntnisse bündelt er in der 1932 erschienenen Schrift „Hitlers Weg”, die ihn im bürgerlichen Lager als einen hervorragenden zeitgenössischen Kenner des Nationalsozialismus ausweist.

In dieser historisch-politischen Studie untersucht er Ursprünge und Programmatik der NS-Bewegung. Scharf analysiert er die zahlreichen Mängel im Parteiprogramm und geißelt den antidemokratischen und antiparlamentarischen Geist der NS-Ideologie und deren Rassenwahn.

Dennoch kann auch Heuss den organisatorischen und propagandistischen Leistungen Hitlers einen gewissen Respekt nicht versagen. Vor allem aber überschätzt er die Legalitätstaktik der NSDAP und unterschätzt die revolutionäre Dynamik dieser neuartigen Bewegung, über deren weitere Entwicklung er 1932 nur wenig Treffendes auszusagen weiß. Doch als erste fundierte Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Bewegung wird „Hitlers Weg” für Heuss zu einem seiner größten Bucherfolge.

Noch 1932 erlebt der Band acht Auflagen und wird ins Schwedische, Niederländische und Italienische übersetzt. Die bürgerliche Presse empfiehlt die Schrift ihren Lesern als einen sehr gut geschriebenen „Bädeker durch den Nationalsozialismus”. Heuss selber hingegen äußert sich nach 1945 mehrfach kritisch zu seinem Buch, weil er in ihm die praktische Tragweite der NS-Ideologie nicht erfasst habe.

Nationalsozialismus

23.03.1933 Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz

Am 30. Januar 1933 ernennt Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler und löst auf Drängenvon Hitler den Reichstag auf.

Aufgrund einer Listenverbindung mit der SPD zieht die Staatspartei mit fünf Abgeordneten in den Reichstag ein, unter ihnen auch Theodor Heuss. Am 23. März stimmt die Fraktion geschlossen für das "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich", das sogenannte "Ermächtigungsgesetz", das dem Reichstag die Gesetzgebungskompetenz zugunsten der Reichsregierung entzieht.

Theodor Heuss hat sich vorher in der Fraktion gegen die Zustimmung ausgesprochen und auch schon einen Redenentwurf vorbereitet, mit dem er seine Stimmenthaltung begründen will - doch er beugt sich der Franktionsdisziplin. Wie seine Parteifreunde gibt er sich letztlich der trügerischen Hoffnung hin, durch die Wahrung von Legalität den Terror zu mäßigen, die eigene Anhängerschaft zu schützen und sich Möglichkeiten für ein politisches Comeback zu erhalten.

Letztlich unterschätzt jedoch auch Heuss die unmittelbare Gefahr und beispiellose Radikalität des Nationalsozialismus und die Wirkung des "Ermächtigungsgesetzes". So begrüßt er die Gleichschaltung der Länder mit dem Reich als Akt gegen die vermeintlmich überkommene Partikularstaatlichkeit.

 

10.05.1933 Bücherverbrennung
Plakat der Deutschen Studentenschaft „Wider den undeutschen Geist”. Faksimile, Staatsarchiv Würzburg, Akten der Deutschen Studentenschaft, I 21 C 14/I

Die Einschüchterung und Gleichschaltung des kulturellen Lebens drückt sich auf spektakuläre Weise in der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 aus. Schon im Vorfeld stellt die Deutsche Studentenschaft im Rahmen der „Aktion wider den undeutschen Geist” so genannte „Schwarze Listen” mit den Werken unliebsamer Autoren zusammen, die als Grundlage für die Säuberung öffentlicher Büchereien dienen. Zum Zeichen ihrer Ächtung nageln Studenten diese Schriften an "Schandpfähle“. Auch zwei Werke von Theodor Heuss, „Führer aus deutscher Not” (1927) und das brisante Buch „Hitlers Weg” (1932), erleiden dieses Schicksal.

Sie werden schließlich mit Schriften zahlreicher anderer Autoren dem Scheiterhaufen übergeben. Die gewaltsame Verdrängung des demokratischen Publizisten Heuss drückt sich in dieser Ausgrenzung und Verbrennung seiner Werke besonders eindringlich aus.

12.07.1933 Aberkennung des Reichstagsmandats
Verlust des Reichstagsmandats Direktor des Reichstags an Theodor Heuss, 12.7.1933. Faksimile, Bundesarchiv, Nachlass Theodor Heuss, N 1221, 382

Mit der Aberkennung des Reichstagsmandats steht Theodor Heuss im Alter von 49 Jahren vor dem vorläufigen Aus seiner politischen Karriere. Seine journalistischen Aktivitäten taugen in der NS-Diktatur und unter den scharfen Zensurbestimmungen nur sehr eingeschränkt zum Politikersatz. Zudem verliert Heuss seine letzte geregelte Einkommensgrundlage. Zur Existenzsicherung trägt in dieser Zeit vielmehr seine Frau Elly mit ihrem durchschlagenden Erfolg als Werbefachfrau in Rundfunk, Kino und Printmedien.

29.09.1933 Rücktritt vom Vorstand des Deutschen Werkbundes

Auch das kulturpolitische Engagement von Heuss findet sein Ende. Der Deutsche Werkbund geht erheblich geschwächt schon aus der Inflationszeit und dann aus der Weltwirtschaftskrise hervor, weil das materielle Elend die Prinzipien von Qualität und Geschmack in den Hintergrund treten lässt. Er steht der nationalsozialistischen Herausforderung hilflos gegenüber und wird widerstandslos gleichgeschaltet. Im Juni bestätigt der Vorstand, dem auch Heuss angehört, die neue nationalsozialistische Führung des Bundes. Auf einer Sitzung im September tritt der Vorstand geschlossen zurück, darunter auch Heuss. Der Werkbund wird in aller Form Teil der NS-Kulturbewegung. Diese Entwicklung kommentiert auch Heuss wohlwollend in einem Artikel der „Vossischen Zeitung“ vom 6. Oktober 1933, in dem er die innere Verwandtschaft des Werkbundes mit einem „deutschen Stil” und dem Führergedanken herausstreicht.

1936 Ausscheiden aus der „Hilfe”
Titelblatt der Zeitschrift „Hilfe”. 17.3.1934 Original, SBTH

Theodor Heuss tritt schon um die Jahreswende 1932/33 in den Herausgeberkreis der „Hilfe” ein und weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass er im Laufe des Jahres seine politische Karriere beenden und seinen Arbeitsschwerpunkt auf den Journalismus verlagern muss. Mit der „Hilfe” hat 1905 sein publizistischer Werdegang begonnen, den er nun unter den Bedingungen des totalitären Systems weiter fortsetzt. Auf diese Weise möchte er eine liberale Gesinnungsgemeinschaft in Zeiten aufrechterhalten, in denen eine Parteiarbeit nicht mehr möglich ist. Doch obwohl es ihm gelingt, neue Abonnenten und Förderer zu gewinnen, bleibt die finanzielle Lage des Blattes so angespannt, dass Heuss statt eines Gehalts nur eine geringe Aufwandsentschädigung erhält.

Unter seiner Federführung steuert die „Hilfe” einen Kurs zwischen kritischer Distanz zur Uniformierung des gesellschaftlichen und politiscshen Lebens einerseits und Anpassung an die neuen Machthaber andererseits. Dabei zeigen sich auch gravierende Fehleinschätzungen über den Charakter des NS-Staates. Während sich Heuss 1933 in seinen Artikeln noch vorwiegend mit innergesellschaftlichen Fragen beschäftigt, weicht er in den folgenden Jahren zunehmend auf das Feld der Außenpolitik aus.

Mit ihrer Linie bewegt sich die Zeitschrift immer wieder am Rande des Verbots. Aufgrund kritischer Artikel rückt Heuss ins Visier einer repressiven Kulturpolitik und wird mehrfach vom Propagandaministerium verwarnt. Ende 1936 muss er schließlich von seinem Herausgeberposten in der „Hilfe” zurücktreten, weil er nicht bereit ist, sich gleichschalten zu lassen. Bis 1942 publiziert er aber weiterhin auch in diesem Blatt.

Zahlreiche Artikel vor allem zu historischen Persönlichkeiten und Jubiläen verfasst er zudem in der „Vossischen Zeitung” und im „Berliner Tageblatt”, seit 1941 auch als fester Mitarbeiter unter dem Kürzel „r.s.” oder dem Pseudonym „Thomas Brachem” für die „Frankfurter Zeitung“.

1937 Erscheinen der Biographie über Friedrich Naumann
Theodor Heuss: Friedrich Naumann. Der Mann, das Werk, die Zeit, Stuttgart (Deutsche Verlags-Anstalt). 1937 Original, SBTH

Als Friedrich Naumann 1919 stirbt, tritt dessen Familie an Heuss mit dem Wunsch heran, eine Biographie seines politischen Ziehvaters zu verfassen. Seitdem lässt ihn dieser Gedanke nicht mehr los, und er beginnt mit den Vorarbeiten. Vielfache andere Verpflichtungen behindern zunächst den Fortgang der Arbeit, der sich Heuss erst ab 1933 – nach dem Verlust seiner öffentlichen Ämter – intensiver widmen kann. Als das Manuskript 1937 endlich fertig gestellt ist, haben sich die politischen Umstände seit den ersten Vorarbeiten völlig gewandelt. Nun beginnen langwierige Verhandlungen mit NS-Parteidienststellen, die der Veröffentlichung eines bekannten Demokraten zunächst skeptisch gegenüberstehen.

Ein drohendes Verbot kann schließlich abgewendet werden, so dass Ende des Jahres die Biographie unter dem Titel „Friedrich Naumann. Der Mann, das Werk, die Zeit” erscheint – ein Dokument der Verehrung seines politischen Lehrers, das Heuss für seine wichtigste Arbeit hält.

 

1939 Erscheinen der Biographie über Hans Poelzig
Hans Poelzig (1869-1936). Foto, Hugo Erfurth; Bildarchiv, Preußischer Kulturbesitz

Die Werkbundtätigkeit hat Theodor Heuss mit dem Architekten Hans Poelzig (1869–1936) zusammengebracht, aus der sich eine nähere, freundschaftliche Beziehung entwickelt. Poelzig war 1907 Gründungsmitglied des Deutschen Werkbundes, zu Beginn der zwanziger Jahre dessen Vorsitzender, leitete seit 1920 ein Meisteratelier an der Preußischen Akademie der Künste und wurde ab 1923 zugleich Professor an der TU Berlin Charlottenburg.

1933 wird Poelzig von den Nationalsozialisten gezwungen, seine Ämter niederzulegen. Er stirbt im Jahr 1936, kurz vor seiner geplanten Emigration in die Türkei. Die Familie Poelzigs und der Verlag Ernst Wasmuth in Berlin bitten 1938 Heuss, in der umfangreichen Monographie der „Bauten und Entwürfe” von Hans Poelzig, den biographischen Begleittext zu übernehmen; sie erscheint im Folgejahr unter dem Titel „Hans Poelzig: Das Lebensbild eines deutschen Baumeisters”.

Doch bereits 1941 wird – vermutlich auf Veranlassung Hitlers – die Auslieferung des Buches verboten. Nach dem Krieg entschließt sich der Verlag, eine kleinere, im Umfang reduzierte Auflage zu edieren; der biographische Teil von Heuss bleibt unverändert. In der Stuttgarter Weißenhof-Siedlung kann heute noch ein Poelzig-Bau besichtigt werden.

1940 Erscheinen der Biographie über Anton Dohrn
Anton Dohrn (1840–1909). Foto: Scherl, Süddeutscher Verlag Bilderdienst

Die dritte Biographie, die Theodor Heuss in der Zeit des Nationalsozialismus schreibt, befasst sich mit dem Zoologen Anton Dohrn (1840–1909). Ihm ist Heuss zwar nie persönlich begegnet, doch ist er mit dessen Sohn, Boguslav Dohrn, seit langem befreundet. Dieser bittet ihn, zum 100. Geburtstag des großen Naturwissenschaftlers 1940 eine Gesamtwürdigung des Lebenswerkes zu schreiben.

Anton Dohrn begründet 1870 die erste zoologische Station in Neapel, die für Jahrzehnte das bedeutendste internationale Zentrum meeresbiologischer Forschung wird. Zunächst zögerlich, wagt sich Heuss auf das für ihn ungewohnte naturwissenschaftliche Feld, recherchiert im Nachlass Dohrns und studiert im Zoologischen Institut in Berlin die Jahrgänge der wissenschaftlichen Zeitschriften. Heuss reist sogar noch 1939 nach Neapel, um die Dohrnsche Station kennenzulernen.

„Aber als ich mich mit dem Material näher vertraut machte, fand ich bald bestätigt, daß die Erscheinung von Dohrn von sehr viel geistes-geschichtlicher und wissenschaftspolitischer Luft umgeben ist, so daß über die engeren Fragen der biologischen Dinge mancherlei herauszuholen ist”

(Heuss an Walter von Keudell, 4.12.1939, in: Theodor Heuss. Der Mann, das Werk, die Zeit. Eine Ausstellung, Tübingen 1967, S. 222).

1940 erscheint das Werk unter dem Titel „Anton Dohrn in Neapel” in einer Auflagenhöhe von 3000 Exemplaren, die bald vergriffen sind. Eine zweite Auflage wird während des Krieges nicht genehmigt.

1943 Umzug nach Heidelberg und Kontakte zum Widerstand
Wohnsitz des Ehepaars Heuss im Kehrweg 4, Heidelberg-Handschuhsheim (1943–1945). Foto: Familienarchiv Heuss, Basel

Das alliierte Bombardement auf Berlin und der angegriffene Gesundheitszustand Ellys veranlassen das Ehepaar, im Herbst 1943 nach Heidelberg umzusiedeln, wo Theodor Heuss sich intensiv seiner Biographie über Robert Bosch widmet, um die ihn der Firmengründer 1942 kurz vor seinem Tod gebeten hatte.

Der unmittelbare Anlass für den Weggang aus Berlin dürfen aber wohl Warnungen vor der Gestapo gewesen sein, die aus dem Umkreis von Heuss' Sohn stammen. Heuss hat nach 1933 weiterhin ein liberales Beziehungsnetz unterhalten, aus dem heraus Kontakte in Richtung Widerstand erwachsen. Theodor Heuss hat auf verschiedenen Ebenen Kontakte zu Gegnern des NS-Regimes, so auch zu dem Sozialdemokraten Julius Leber. Zu den zentralen Akteuren des Widerstands gehört er nicht. Ob er in die Umsturzpläne eingeweiht ist, die im Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 münden, lässt sich nicht eindeutig belegen. Doch einige Aussagen nach 1945 deuten darauf hin, dass er dem Kopf des konservativen Widerstands, Carl Friedrich Goerdeler, zugesagt hat, nach dem Sturz Hitlers der neuen Reichsregierung anzugehören.

Nachkriegszeit

30.03.1945 Besetzung Heidelbergs durch amerikanische Truppen
Amerikanische Truppen bei der Besetzung Heidelbergs Ende März 1945, Bau einer Ponton-Fähre am Neckarufer. Foto: Keystone, Stadtarchiv Heidelberg

Mit dem Einmarsch der Amerikaner in Heidelberg enden für Theodor Heuss der Weltkrieg und der Nationalsozialismus. Die im Mai ausgesprochene bedingungslose Kapitulation schätzt Heuss zwar auf der einen Seite als eines der furchtbarsten Ereignisse der deutschen Geschichte ein; auf der anderen Seite begrüßt er sie aber als eine Befreiung von jahrelangem Druck und Terror, zumal sie das Aufkeimen einer zweiten Dolchstoßlegende unmöglich mache.

In den Reden der folgenden Monate will Heuss über den verbrecherischen Charakter des Nationalsozialismus aufklären, dessen schädlichste Wirkungen er vor allem auf geistig-sittlichem Gebiet sieht. Um so wichtiger erscheint ihm deshalb eine moralische Ausrichtung der demokratischen Neuorientierung. Auf diese Weise möchte er die Gesellschaft mit liberalen Wertideen durchringen und künftige Katastrophen vermeiden.

05.09.1945 Lizenzträger der Heidelberger „Rhein-Neckar-Zeitung”
Die Offiziere John B. Stanley (2.v.l.) und Chesnutt (3.v.l.) überreichen am 5. September 1945 die Lizenz für die Rhein-Neckar-Zeitung an die drei Herausgeber: Theodor Heuss, Hermann Knorr (1897–1976) und Rudolf Agricola (1900–1985, nicht auf dem Foto). Foto: H. Lossen, Stadtarchiv Heidelberg

Schon im Frühjahr 1945 tragen die Amerikaner Theodor Heuss gemeinsam mit dem Sozialdemokraten Hermann Knorr und dem Kommunisten Rudolf Agricola die Lizenz für eine neu zu gründende Zeitung an. Sie erscheint erstmalig am 5. September unter dem Namen „Rhein-Neckar-Zeitung” in Heilbronn. Im Herausgeberkreis repräsentiert Heuss die liberale Richtung.

Einen bedeutenden organisatorischen Einfluss auf die Zeitung kann Heuss aber wegen seiner vielfältigen politischen Aufgaben nicht ausüben. Stattdessen versorgt er das Blatt regelmäßig mit politischen Artikeln, in denen er sich mit dem deutschen Zusammenbruch und der politisch-moralischen Erneuerung beschäftigt. 1948/49 berichtet Heuss vor allem über die Arbeit im Parlamentarischen Rat.

24.09.1945 „Kultminister” für Württemberg-Baden
Theodor Heuss bei der Arbeit als „Kultminister”, 1945/46. Foto: Familienarchiv Heuss, Basel

Mit der Berufung zum „Kultminister” von Württemberg-Baden durch die amerikanische Militärregierung beginnt die politische Nachkriegskarriere von Theodor Heuss. Seine historisch-publizistischen Pläne muss er seitdem zunehmend zurückstellen.

Am 24. September 1945 tritt er in das Kabinett der Allparteienregierung (DVP, CDU, SPD, KPD) seines Parteifreundes Reinhold Maier ein. Im Oktober zieht er mit seiner Frau nach Stuttgart-Degerloch um. Heuss muss unter widrigsten Umständen sein Amt wahrnehmen, sind doch zahlreiche Kultur- und Bildungseinrichtungen zerstört. Darüber hinaus mangelt es an geeigneten und politisch unbelasteten Fachkräften für den Wiederaufbau von Schulen und Universitäten, von Theatern und Bibliotheken.

In den ersten Landtagswahlen im Spätherbst 1946 erringen die Liberalen 19 Prozent der Stimmen und können somit nur ein Regierungsmitglied stellen. Heuss verzichtet deshalb im Dezember zugunsten seines Parteifreundes Reinhold Maier auf das Amt des „Kultminister”, bleibt aber mit seiner Frau bis 1949 Abgeordneter für die liberale DVP im Landtag.

1946 Liberale Partei- und Verfassungspolitik für Württemberg-Baden
Mitgliedskarte von Theodor Heuss für die DVP, 10. 10. 1945. Original, Familienarchiv Heuss, Basel

Nachdem Theodor Heuss von seinen ursprünglichen Vorstellungen einer überkonfessionellen, bürgerlichen Sammlungspartei Abstand genommen hat, ist er maßgeblich für die Wiederbegründung des parteipolitischen Liberalismus verantwortlich. Am 6. Januar 1946 beteiligt er sich an der Gründung der liberalen Deutschen Volkspartei (DVP) für Württemberg-Baden; im September tritt er in den Parteivorsitz der DVP für die amerikanische Besatzungszone ein.

Gleichzeitig ist Heuss als Mitglied der Verfassunggebenden Versammlung an der Ausarbeitung einer Verfassung für den Südweststaat beteiligt. Die verfassungsrechtliche Verankerung der christlichen Gemeinschaftsschulen geht maßgeblich auf ihn zurück. Im November wird die neue Verfassung für Württemberg-Baden in einer Volksabstimmung angenommen.

1946 Erscheinen der Biographie über Robert Bosch
Robert Bosch (1861–1942), (Foto: Robert-Bosch-Archiv)

Die Lektüre eines schmalen Bändchens, das Heuss 1942 über den Chemiker Justus von Liebig veröffentlicht, veranlasst Robert Bosch noch im selben Jahr, Heuss zu bitten, auch eine Biographie über ihn zu schreiben, die auf bewusste Schönfärberei verzichtet. Heuss nimmt das Angebot, das auch die Zahlung eines monatlichen Honorars einschließt, unverzüglich an. Kurz darauf stirbt der württembergische Industrielle.

Heuss lernt Bosch bereits in den zwanziger Jahren kennen. Politisch stehen beide dem Linksliberalismus nahe und sind ausdrückliche Hitlergegner. Seit 1933 unterstützt Bosch die finanziell angeschlagene Zeitschrift „Die Hilfe”. Um die Biographie zu verfassen, bekommt Heuss Zugang zu den nötigen Quellen. In Berlin, im oberbayerischen Bosch-Hof und zuletzt in Heidelberg schreibt er unter schwierigen Kriegsbedingungen aus dem umfangreichen Material das monumentale Werk. Diese Tätigkeit sichert dem Ehepaar Heuss in den letzten Jahren des Krieges ein kleines, nach dem Ende der Werbetätigkeit von Elly Heuss-Knapp aber um so wichtigeres Einkommen. Theodor Heuss ist bewusst, dass es unmöglich sein werde, dieses Buch über den liberalen Industriellen Bosch während der NS-Diktatur zu veröffentlichen; es erscheint schließlich 1946. Seine Arbeiten im Umfeld der Firma Bosch bringen Heuss während des Krieges auch in Berührung mit dem Widerstandskreis um Carl Goerdeler.

1947 Gesamtdeutsche liberale Bestrebungen
Sitzung des Vorstandes der DPD in Frankfurt am Main, 3. 11. 1947, (v.l.n.r.): August Martin Euler (1908–1966, LDP Hessen), Thomas Dehler (1897–1967, FDP Bayern), Wilhelm Külz (1875–1948, LDP Sowjetische Besatzungszone), Wolfgang Haußmann (1903–1989, DVP Württemberg-Baden), Theodor Heuss (DVP Württemberg-Baden), Eberhard Wildermuth (1890–1952, DVP Württemberg-Hohenzollern), Carl-Hubert Schwennicke (1906–1992, LDP Berlin). Foto: DPA

Nach der Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen hat Theodor Heuss die Hoffnung auf eine aus allgemeinen Wahlen hervorgehende gesamtdeutsche Volksvertretung nicht aufgegeben. Die Gründung einer gesamtdeutschen liberalen Partei soll dieser Forderung Gewicht verleihen. Am 17. März 1947 wird Heuss zusammen mit Wilhelm Külz, dem Vorsitzenden der ostzonalen Liberaldemokratischen Partei (LDP), Mitglied der Doppelspitze der Demokratischen Partei Deutschlands (DPD), welche die liberalen Parteien aller Zonen zusammenfassen soll.

Der deutschlandpolitische Aktivismus von Külz im Gefolge der gesamtdeutschen Volkskongressbewegung der SED und das Auseinanderdriften der Weltmächte im Kalten Krieg lassen Heuss' Bestrebungen jedoch zur Makulatur werden. Ende des Jahres bricht Heuss mit Külz, von dem er sich getäuscht sieht. Im Januar 1948 ist das Projekt einer gesamtdeutschen liberalen Partei endgültig gescheitert.

1948 Erscheinen von „1848. Werk und Erbe”

Die demokratischen Vorstellungen der Revolution von 1848/49 gelten als Heusssche Familientradition, da Großvater und Urgroßonkel von Theodor Heuss sich an der Revolution beteiligt haben. Für ihn selbst bedeutet diese generationenübergreifende demokratische Tradition zugleich auch die Legitimation seiner eigenen politischen Ambitionen. Darüber hinaus kommt es Heuss in seinen Reden, Artikeln und dem Buch „1848. Werk und Erbe” anlässlich der Hundertjahrfeier 1948 weniger darauf an, historische Fakten nachzuerzählen. Vielmehr legt er Wert darauf, die Grundideen der Revolution und ihre Bedeutung für das 20. Jahrhundert aufzuzeigen. Die für Heuss zentralen Ideen von 1848 sind dabei insbesondere die Durchsetzung der parlamentarischen Demokratie und eines einheitlichen Nationalstaats sowie die Verabschiedung einer Verfassung. Als vorbildlich beschreibt er außerdem den idealistischen Einsatz der Bevölkerung für diese Ziele.

01.09.1948 Entsendung als Abgeordneter in den Parlamentarischen Rat nach Bonn

Von September 1948 bis Mai 1949 tagt in Bonn auf Initiative der drei westlichen Alliierten (USA, England, Frankreich) der Parlamentarische Rat mit dem Ziel, eine Verfassung für die drei Westzonen auszuarbeiten. Am 23. Mai 1949 wird das Grundgesetz verkündet.

Theodor Heuss ist sich bewusst, dass er aufgrund seiner politischen Erfahrungen in der Weimarer Republik, seiner vom Nationalsozialismus unbelasteten Biographie und seiner Mitarbeit an der Verfassung von Württemberg-Baden 1946 für diese Aufgabe besonders qualifiziert ist. Die große räumliche Distanz zu Bonn und der schlechte Gesundheitszustand seiner Frau führen aber dazu, dass er erst nach einigem Zögern seine Mitwirkung an den Verfassungsberatungen zusagt.

Als Vorsitzender der liberalen Fraktion kommt Heuss eine ausgleichende Rolle zwischen den gegensätzlichen Positionen von CDU/CSU und SPD zu. Doch es gelingt ihm auch, eigene Positionen gegen Widerstände durchzusetzen. So kann er der Präambel und wichtigen Artikeln des Grundgesetzes wie einigen Grundrechten oder Bestimmungen zur parlamentarischen Demokratie und zum Staatsaufbau seinen Stempel aufdrücken. Die Aufnahme plebiszitärer Elemente in die Verfassung als „Prämie für jeden Demagogen“ kann er erfolgreich verhindern. Der Name „Bundesrepublik Deutschland” geht ebenso auf seine Initiative zurück wie die Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold. Nicht in allen Punkten kann er sich durchsetzen. So wird das Recht auf Kriegsdienstverweigerung gegen seinen Willen in das Grundgesetz aufgenommen. Letztendlich liegt ihm aber daran, dem Grundgesetz eine breite, parteiübergreifende Mehrheit im Parlamentarischen Rat zu sichern, um damit die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen. Am 8. Mai stimmten von den 65 ordentlichen Abgeordneten 53 für die neue Verfassung.

12.12.1948 Vorsitzender der FDP
Zusammenschluss der westdeutschen Liberalen zur FDP. Faksimile, Archiv des Liberalismus, P2-53

Nach dem Scheitern des Versuchs einer gesamtdeutschen liberalen Partei zögern auch die Liberalen der Westzonen ihren Zusammenschluss wegen interner Spannungen zwischen einem nationalliberalen und linksliberalen Flügel noch beinahe ein Jahr hinaus, bis sie am 12. Dezember 1948 in Heppenheim die FDP gründen.

Die Delegierten wählen Heuss zum ersten Vorsitzenden – ein Amt, das er bis zu seiner Wahl zum Bundespräsidenten ausübt. Über den Personenkreis, dem die neue liberale Partei offen stehen soll, äußert er sich noch am selben Tag folgendermaßen:

„Wir wollen bei uns die Menschen sammeln, die nicht etwas werden wollen, sondern die etwas sein wollen, nämlich sie selber, Menschen eigenen Wuchses und eigener Verantwortung. Wir brauchen in Deutschland den lebendigen Menschen, der nicht Opfer der Apparatur geworden ist und auch nicht bloßes Glied der Apparatur sein will, der die innere Entscheidung für den eigenen Lebensweg erhalten und nicht verlieren möchte”

(Zeugnisse liberaler Politik. 25 Jahre F.D.P. Hg. v. Bundesvorstand der Freien Demokratischen Partei. Bonn 1973, S. 20).

Bundesrepublik Deutschland

1949 Wahl zum Bundespräsidenten
Die Vereidigung von Theodor Heuss zum Bundespräsidenten am 12. September 1949 (Foto: Familienarchiv Heuss, Basel)

Mit der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag am 14. August 1949 zieht auch Theodor Heuss für die FDP ins Parlament ein. Nach Absprache unter den bürgerlichen Parteien, die später zu einer Koalition zusammenfinden, wird er am 12. September 1949 von der Bundesversammlung zum Bundespräsidenten gewählt. Damit ist er das erste deutsche Staatsoberhaupt nach Hitler, zugleich aber auch das erste deutsche Staatsoberhaupt bürgerlicher Herkunft. Sein persönliches Amtsverständnis demonstriert er bereits in der Antrittsrede vor der Bundesversammlung:

„Was ist denn das Amt des Präsidenten der Deutschen Bundesrepublik? Es ist bis jetzt ein Paragraphengespinst gewesen. Es ist von dieser Stunde an ein Amt, das mit einem Menschentum gefüllt ist. Und die Frage ist nun, wie wir, wir alle zusammen, aus diesem Amt etwas wie eine Tradition, etwas wie eine Kraft schaffen, die Maß und Gewicht besitzen und im politischen Kräftespiel sich selbst darstellen kann.”

Der desorientierten deutschen Nachkriegsgesellschaft will er wieder Perspektiven für eine neue demokratische Identität geben:

„Die Legende von dem unpolitischen Volk der Deutschen ist falsch [...]. Und so begreife ich – wenn wir das Zentralistische, Befehlsmäßige ablehnen – die Gliederung, in der wir leben, als die großen Schulungsmöglichkeiten und als die Voraussetzungen zu dem, was ich eine lebendige Demokratie nennen möchte.”

In den Chor des Vergessens und Beschweigens stimmt Heuss nicht ein:

„Es ist eine Gnade des Schicksals beim Einzelmenschen, daß er vergessen kann. Wie könnten wir als einzelne leben, wenn all das, was uns an Leid, Enttäuschungen und Trauer im Leben begegnet ist, uns immer gegenwärtig sein würde! Und auch für die Völker ist es eine Gnade, vergessen zu können: Aber meine Sorge ist, daß manche Leute in Deutschland mit dieser Gnade Mißbrauch treiben und zu rasch vergessen wollen. Wir müssen das Spürgefühl behalten, was uns dorthin geführt hat, wo wir heute sind. Das soll kein Wort der Rachegefühle, des Hasses sein. Ich hoffe, daß wir dazu kommen werden, nun aus dieser Verwirrung der Seelen im Volk eine Einheit zu schaffen. Aber wir dürfen es uns nicht so leicht machen, nun das vergessen zu haben, was die Hitlerzeit uns gebracht hat”

(in: Ralf Dahrendorf/Martin Vogt [Hg.]: Theodor Heuss. Politiker und Publizist, Tübingen 1984, S. 377-379).

19.07.1952 Tod von Elly Heuss-Knapp
Theodor Heuss spendet seiner Frau für das Müttergenesungswerk. Foto: Bundesarchiv

Elly Heuss-Knapp gründet 1950 als „First Lady“ das Deutsche Müttergenesungswerk, die Dachorganisation bereits bestehender Müttererholungswerke. Sie sammelt Spenden, um kranken und erschöpften Müttern einen Kuraufenthalt zu ermöglichen. Dabei nutzt sie auch wirksam die Popularität ihres Mannes.

Nach langjährigem Leiden stirbt Elly Heuss-Knapp am 19. Juli 1952. Damit endet eine liebevolle und partnerschaftliche Ehe mit Theodor Heuss. Als eine selbstverständliche Verpflichtung übernimmt der Bundespräsident nach dem Tod seiner Frau die Schirmherrschaft für das Müttergenesungswerk, um dessen Fortbestand zu sichern. Seither ist die Frau des jeweils amtierenden Bundespräsidenten Schirmherrin der Institution, die Elly Heuss-Knapp als Krönung ihres Lebens empfand.

30.11.1952 Gedenkrede im ehemaligen KZ Bergen-Belsen
Schallplatte „Das Mahnmal” mit der Rede von Theodor Heuss zur Einweihung eines Gedenksteines im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen am 30. November 1952. Original, SBTH

Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der deutschen Verantwortung für den Genozid an den europäischen Juden bleibt eine Konstante in den Reden von Theodor Heuss. In einem allgemeinen Klima des Verdrängens und Vergessens erinnert er an die Opfer der NS-Gewaltherrschaft. Bereits im Dezember 1949 macht er vor der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit unmissverständlich klar, dass das „scheußliche Unrecht, das sich am jüdischen Volk vollzogen hat,“ zur Sprache gebracht werden müsse (in: Ralf Dahrendorf / Martin Vogt (Hrsg.): Theodor Heuss. Politiker und Publizist. Tübingen 1984, S. 382). Er lehnt eine juristische Kollektivschuld ab und forderte stattdessen eine moralische „Kollektivscham“, die alle Deutsche betreffe.

Auf große Beachtung, Zustimmung, aber auch Kritik im In- und Ausland stieß Ende November 1952 seine Rede zur Einweihung des Mahnmals im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen. Unter dem Titel „Das Mahnmal“ wies Heuss darauf hin, dass jeder Deutsche von den Verbrechen gegenüber den Juden gewusst habe, auch wenn das Ausmaß nicht allen bekannt war. Die Deutschen mahnte er an ihre Pflicht zur Erinnerung an diese Schuld. Eine moralische Sensibilität, die sich dem Vergessen verweigert, galt ihm als Grundlage für den demokratischen Neubeginn und für die Versöhnung mit den Opfern des Nationalsozialismus.

In diese Richtung zielte auch seine Rede zum 10. Jahrestag des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944, mit der er auf das Recht auf Widerstand hinwies und damit die Verschwörer rehabilitierte. Diese Würdigung des Widerstands war in der frühen Bundesrepublik noch alles andere als selbstverständlich und zog auch wütenden Protest aus der Bevölkerung nach sich.

1954 Wiederwahl zum Bundespräsidenten
Sitzung der Bundesversammlung 1954 in Berlin, bei der Theodor Heuss mit großer Mehrheit im ersten Wahlgang als Bundespräsident wieder gewählt wird. Foto: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Theodor Heuss' Wiederwahl zum Bundespräsidenten am 17. Juli 1954 ist ein Ausdruck breiter Zustimmung zu seiner Amtsführung, stimmen doch auch die Sozialdemokraten schon im ersten Wahlgang für ihn.

Aufgrund des Inkrafttretens der Pariser Verträge erlangt die Bundesrepublik 1955 ihre Souveränität und Heuss damit die Möglichkeit, sein Land auf Staatsbesuchen im Ausland zu vertreten. Durch sein stilsicheres und unprätentiöses Auftreten vermag er der noch jungen Bundesrepublik in den jeweiligen Gastländern zu Vertrauen und Ansehen zu verhelfen, 1956 in Griechenland, 1957 in der Türkei, in Italien und im Vatikan sowie 1958 in den USA, in Kanada und England.

1959 Ende der 2. Amtszeit und Umzug nach Stuttgart: Würdigung des Bundespräsidenten
Nach der Beendigung der Amtszeit als Bundespräsident nimmt Theodor Heuss Abschied von Bonn und zieht nach Stuttgart um. Foto: Georg Munker, Bundesarchiv

Am 12. September 1959 endet Theodor Heuss' zweite Amtszeit, nachdem er eine Grundgesetzänderung zugunsten einer dritten Amtsperiode abgelehnt hat. Er zieht in seinen Alterswohnsitz nach Stuttgart in den Feuerbacher Weg 46, dem heutigen Theodor-Heuss-Haus.

Trotz einer geringen politischen Machtausstattung und einer über den Parteien stehenden Repräsentationsstellung ist Heuss durchaus kein unpolitischer Präsident gewesen. Exekutive Befugnisse in Konkurrenz zum Bundeskanzler strebt er zwar in der Regel nicht an. In den Grundzügen stimmt er mit Adenauers innen- und außenpolitischem Kurs überein. 

Dennoch wirkt Heuss politisch, wenn er für die Förderung einer freien Wissenschaft und Kunst und für die Erinnerung an den Nationalsozialismus eintritt. Seine authentische Persönlichkeit, die auf einen reichhaltigen historischen Erfahrungsschatz sowie einen außergewöhnlichen Bildungsfundus zurückgreifen kann, kennt keine Berührungsängste mit der Bevölkerung, sondern kommt deren Bedürfnis nach Sinnstiftung entgegen. Vor allem wirkt Heuss durch seine stets selbst ausgearbeiteten und öffentlichen Reden, mit denen er breite Bevölkerungsschichten für die Demokratie gewinnen will – so noch in seiner Abschiedsrede an die deutsche Bevölkerung:

„Mir kam es darauf an und kommt es ausschließlich darauf an, die rechtliche Kontinuität des staatlichen Seins unabhängig von jeglichem persönlichen Aspekt zu sichern. Es ist nicht das Ruhe-, das Ausruhebedürfnis eines alten Mannes, der ganz unbefangen sich selber als Zeugnis ausstellt, ein fleißiger Mann gewesen zu sein, es ist auch nicht die Flucht aus der Verantwortung, der ich mich im Rahmen meiner rechtlich eingeschränkten Möglichkeiten nie entzogen habe, sehen Sie bitte in dem Wechsel des Bundespräsidenten einen auch für den einzelnen Bürger erzieherischen Vorgang. [...] Demokratie ist Herrschaftsauftrag auf Frist”

(in: Ralf Dahrendorf/Martin Vogt [Hg.]: Theodor Heuss. Politiker und Publizist, Tübingen 1984, S. 514).

Die Amtsführung von Heuss hat das präsidiale Amtsverständnis seiner Nachfolger bis heute geprägt.

1960 Reisen nach Frankreich, Israel und Indien

Heuss bleibt im Blickfeld des öffentlichen Interesses. Häufig wird er als Festredner eingeladen oder als Schriftsteller und Politiker geehrt. 1960 reist er in halboffizieller Funktion nach Frankreich, Israel und Indien, wo er mit hohen Ehren empfangen wird. Insbesondere sein Besuch in Israel trägt dazu bei, die noch immer vorhandenen Spannungen zwischen Israel und der Bundesrepublik zu entschärfen.

12.12.1963 Tod von Theodor Heuss

Trotz seiner fortwährenden politischen Aufgaben findet Heuss als Altbundespräsident mehr Zeit für seine Familie, zu der seit 1961 ein zweites Enkelkind, Ludwig Theodor, gehört. Und auch seiner schriftstellerischen Arbeit kann er sich wieder stärker widmen, so dass er seine Erinnerungen bis in das Jahr 1933 fortsetzt. Da sich sein Gesundheitszustand zunehmend verschlechtert, schreitet diese Arbeit ab 1962 jedoch nur noch langsam voran; die Fortsetzung seiner Memoiren in die Zeit des Nationalsozialismus hinein bleibt Fragment.

Nach langer Krankheit und der Amputation seines linken Beines stirbt Theodor Heuss am 12. Dezember 1963 in seinem Haus in Stuttgart und wird unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit auf dem Waldfriedhof neben seiner Frau Elly Heuss-Knapp am 17. Dezember beigesetzt. Die auf ihn verfassten Nachrufe zeugen von dem breiten geistigen Horizont des Verstorbenen: Nicht nur Politiker, auch Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle betonten ihre persönliche und ideelle Verbundenheit mit dem ersten Bundespräsidenten.

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